Nancy Faeser: Zwischen Koalitionsvertrag und politischem Eigeninteresse

Published by carrabelloy on

Die Art und Weise, wie einige unserer Politikerinnen und Politiker an ihren Stühlen kleben, ist bezeichnend für die aktuelle politische Landschaft, unabhängig von Parteizugehörigkeiten. Der aktuelle Streit um die Chatkontrolle könnte für einige eine Herausforderung darstellen, vor allem für solche, die gerne als Ministerin in Hessen gewählt werden möchten. Doch kann diese Strategie wirklich aufgehen? Diese Frage stellt sich insbesondere im Hinblick auf den anhaltenden Streit um die Bürgerüberwachung, wie man es in netzpolitik.org nachlesen kann.

Die aktuelle Bundesinnenministerin Nancy Faeser scheint den Koalitionsvertrag eher als lästiges Papierdokument zu betrachten, anstatt als bindendes Abkommen. Dies wirft ein Schlaglicht auf das schwierige Verhältnis der hessischen Spitzenkandidatin zu den Vereinbarungen ihrer eigenen Partei.

Faeser möchte sowohl Ministerpräsidentin in Hessen als auch weiterhin Bundesinnenministerin sein – sozusagen als Plan B, falls ihre Ambitionen in Hessen nicht erfüllt werden. Derzeit liegt die CDU in Hessen sieben Prozentpunkte vorn, was die Wahrscheinlichkeit eines solchen Szenarios erhöht. Es ist daher jetzt, zu Beginn des Hessenwahlkampfes, der richtige Zeitpunkt, zurückzublicken und zu bewerten, was die Bürgerinnen und Bürger von Hessen von Faeser erwarten könnten – oder wie es im Bund unter ihrer Führung weitergehen könnte.

Faesers Verhältnis zu Themen wie Vorratsdatenspeicherung, Chatkontrolle, „Hackbacks“, Schwachstellenmanagement und das Bundesamt für IT-Sicherheit gibt uns eine Vorstellung davon, wie sie voraussichtlich handeln würde. Bei allen diesen Themen scheint sie den eigenen Koalitionsvertrag nicht als Richtschnur für ihr Handeln anzusehen.

Wenn die SPD bei der hessischen Landtagswahl erfolgreich ist, bleibt es fraglich, ob sich unter Faesers Führung viel vom derzeitigen schwarz-grünen Hardliner-Kurs im Land ändern wird. Sollte die SPD jedoch nicht die stärkste Partei werden, wird sich eine andere Frage stellen: Kann sich eine Innenministerin auf ihrem Posten halten, die einerseits bei einer Landtagswahl scheitert und andererseits durch ihre Missachtung des Koalitionsvertrags bereits viel Unmut auf sich gezogen hat? Nur die Zukunft wird es zeigen.

Dies sind nur einige Aspekte einer komplexen politischen Landschaft, die es wert sind, genauer untersucht zu werden. Es ist wichtig, dass wir als Bürgerinnen und Bürger ein klares Bild davon haben, wen wir wählen und welche Politik sie vertreten.

Reblog via Anna Biselli

Für Innenministerin Nancy Faeser scheint der Koalitionsvertrag eher ein lästiges Stück Papier zu sein. Ein Einblick in das schwierige Verhältnis der hessischen Spitzenkandidatin zu Vereinbarungen der eigenen Partei.

Nancy Faeser von der Seite fotografiert
Nancy Faeser hat ein Profil. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / NurPhoto

Nancy Faeser ist die aktuelle Bundesinnenministerin. Und Nancy Faeser möchte Ministerpräsidentin in Hessen werden. Kürzlich hat ihre Partei, die SPD, sie zur Spitzenkandidatin für die Landtagswahl im Oktober gewählt. Frei nach dem Motto „Wenn’s in Hessen nicht klappt, für’n Bund reichts“ möchte Faeser aber Innenministerin bleiben, wenn die Wahlergebnisse für ein Landesregieren nicht genügen.

Derzeit liegt die CDU in Hessen sieben Prozentpunkte vorn, was das Szenario wahrscheinlich macht. Dennoch ist zu Beginn des Hessenwahlkampfs ein guter Zeitpunkt zurückzublicken und zu schauen, was die Hessen vielleicht erwartet. Oder wie es im Bund weitergeht. Ein Einblick in das schwierige Verhältnis von Nancy Faeser zum eigenen Koalitionsvertrag.

Faeser und die Vorratsdatenspeicherung

Im Koalitionsvertrag steht, dass die Ampelregierung Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung so ausgestalten will, „dass Daten rechtssicher anlassbezogen und durch richterlichen Beschluss gespeichert werden können“. Dass die bisherige deutsche Regelung durch den Europäischen Gerichtshof zu Fall gebracht werden würde, war damals bereits absehbar und bestätigte sich durch das Urteil im September 2022.

Doch bereits vor dem Urteil trat Faeser mit der Forderung auf, IP-Adressen anlasslos von Allen zu speichern. Und auch noch dem Urteil hielt sie daran fest, dass es eine neue Vorratsdatenspeicherung für die Internetadressen brauche. Damit stellte sie sich gegen die Regierungskollegen aus dem Justizministerium, die eine Quick-Freeze-Lösung als grundrechtsschonende Alternative vorstellten.

„Finden sie es wirklich richtig, dass wir uns als Sicherheitsbehörden wegducken?“, warb sie im März betont emotional für die anlasslose Massenspeicherung. Die Folge ist Stillstand: Während das Innenministerium auf anlassloser Speicherung von IP-Adressen besteht, beharrt das Justizministerium auf dem Gegenteil. Der Koalitionsvertrag ist klar.

Faeser und die Chatkontrolle

Im Koalitionsvertrag steht: „Allgemeine Überwachungspflichten, Maßnahmen zum Scannen privater Kommunikation und eine Identifizierungspflicht lehnen wir ab.“ Ein Gesetzentwurf der EU-Kommission, der Minderjährige vor sexualisierter Gewalt im Netz schützen soll, steht dem diametral entgegen. Denn er fordert, dass Anbieter auf Anordnung private Chats und Daten der Nutzenden scannen sollen, um nach Hinweisen für Missbrauchsmaterial und Kontaktanbahnung von Erwachsenen an Kinder zu suchen.

Der selbst von vielen Kinderschutzorganisationen kritisierte Entwurf führte zu einem langandauernden Streit in der Koalition. Das Innenministerium führt in der EU die Verhandlungen im Rat und wollte sich über die Koalitionsvertragsvereinbarungen hinwegsetzen. Sie überschritt damit sämtliche rote Linien, die FDP-geführte Ministerien zuvor formuliert hatten.

In der anschließenden „Einigung“ entschied man sich schließlich dazu, etwa verschlüsselte oder Audio-Kommunikation von den Scanpflichten auszunehmen. Doch in anderen wesentlichen Punkten setzte sich Faesers Haus durch: beim Scannen unverschlüsselter Inhalte und bei der Altersverifikation.

Faeser und die Hackbacks

Im Koalitionsvertrag steht: „Hackbacks lehnen wir als Mittel der Cyberabwehr grundsätzlich ab.“ Und dafür gibt es gute Gründe. Die digitalen Gegenangriffe sind ineffektiv, gefährlich und können zu Kollateralschäden führen. Im digitalen Raum bleibt Verteidigung die beste Verteidigung.

Faeser will das Wort „Hackback“ nicht benutzen, stattdessen redet sie von „Gegenmaßnahmen bei Cyberangriffen“ oder „aktiver Gefahrenabwehr“. Im Angesicht des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine sei man gut beraten, „Fragen unserer Sicherheit nicht ideologisch, sondern realistisch zu betrachten“, sagte sie dem Spiegel.

Dafür will Faeser auch das Grundgesetz ändern und betreibt Wortklauberei. Wenn deutsche Beamte sich in einen Server im Ausland hacken, um ihn lahmzulegen, sei das „kein aktiver Gegenschlag, sondern die Abwehr eines Angriffs.“

Faeser und das Schwachstellenmanagement

Im Koalitionsvertrag steht, der Staat wird „keine Sicherheitslücken ankaufen oder offenhalten, sondern sich in einem Schwachstellenmanagement […] immer um die schnellstmögliche Schließung bemühen“. Das bedeutet: Keine Lücken mehr zurückhalten, weil man sie etwa für Staatstrojaner noch nutzen könnte.

Von dieser konsequenten Haltung ist Faeser weit abgerückt und befindet sich auf Abwägungskurs. Statt konsequenter Schließung, um die IT-Sicherheit aller Menschen zu erhöhen, will Faeser offenbar von Fall zu Fall entscheiden lassen, ob man eine Lücke lieber ausnutzt oder schließt.

Faeser und das Bundesamt für IT-Sicherheit

Im Koalitionsvertrag steht, man wolle das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik „unabhängiger“ aufstellen. Es untersteht dem Innenministerium und genau aus jenem Haus kam ein Gesetz, das in genau die entgegengesetzte Richtung zeigt.

Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit war im „Gesetz zur Änderung des Bevölkerungsstatistikgesetzes, des Infektionsschutzgesetzes und personenstands- und dienstrechtlicher Regelungen sowie der Medizinprodukte-Abgabeverordnung“ ein Passus versteckt. Der reiht die zukünftigen Präsident:innen des Bundesamts in eine Reihe mit politischen Beamt:innen ein. Damit können sie leichter gefeuert werden als bisher.

Gerade in Anbetracht der Querelen um die Versetzung des früheren BSI-Chefs Arne Schönbohm ist es ein schwieriges Signal, das BSI weiter abhängig von politischen Gnaden zu machen.

Faeser und der Rest

Die obigen Beispiele sind ausschließlich Themen mit netzpolitischem Bezug. Faeser hat sich auch in anderen Bereichen Kritik ausgesetzt, weil sie die Linie ihres CSU-Vorgängers Horst Seehofer beinahe nahtlos fortführt. Ein Beispiel dafür sind Asylverschärfungen.

Sollte es die SPD bei der hessischen Landtagswahl tatsächlich Erfolg haben, wird unter einer Führung Faesers fraglich, wie viel sich vom derzeit schwarz-grünen Hardlinerkurs im Land ändert. Sollte die SPD nicht die stärkste Partei werden, würde sich eine andere Frage stellen: Kann sich eine Innenministerin auf ihrem Posten halten, die zum einen bei einer Landtagswahl scheitert und zum andern mit ihrer Missachtung des Koalitionsvertrags schon viel Unmut auf sich gezogen hat?


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